Industrie in der Krise: Warum Deutschland seine Arbeitsplätze verliert
Die deutsche Industrie wankt – und mit ihr Hunderttausende Arbeitsplätze. Immer mehr Konzerne kündigen massive Stellenstreichungen an: Bosch, Volkswagen, ZF, Thyssenkrupp oder Lufthansa. Was wie eine Aneinanderreihung schlechter Nachrichten wirkt, ist in Wahrheit Ausdruck einer tiefen strukturellen Krise: Hat der Standort Deutschland noch eine Zukunft im globalen Wettbewerb?
Der Schock sitzt tief: Bosch, der weltgrößte Autozulieferer, will bis 2030 rund 13.000 Stellen in Deutschland streichen. Und Bosch ist nicht allein. Volkswagen kündigte den Abbau von 35.000 Jobs an, ZF will bis zu 14.000 Arbeitsplätze streichen, Thyssenkrupp Steel plant 11.000 Stellenstreichungen, Lufthansa setzt 4.000 Jobs auf die Streichliste.
Schlag auf Schlag vermeldet ein Traditionskonzern nach dem anderen neue Abbaupläne. Wie eine aktuelle Studie von EY zeigt, wurden in der deutschen Industrie innerhalb eines Jahres etwa 114.000 Stellen abgebaut. Seit dem Vor-Pandemie-Jahr 2019 sei die Zahl der Beschäftigten sogar um fast 250.000 gesunken – ein Rückgang um 4,3 Prozent.
Die Krise hat System
Ein Faktor dabei ist sicherlich, dass viele Unternehmen einfach weniger Mitarbeitende benötigen: Der Grad der Automatisierung steigt, digitale Prozesse und künstliche Intelligenzen können viele Aufgaben übernehmen, Technologien werden einfacher. Doch das allein erklärt den massiven Stellenabbau nicht. Die deutsche Industrie steckt in einer Krise, die längst strukturelle Züge angenommen hat.
Ein weiterer Faktor ist, dass immer mehr Produktion ins Ausland verlagert wird. In seinen täglichen Kundengesprächen mit Unternehmen jeglicher Branchen hört GFL-Geschäftsführer Marcus Sarafin zunehmend von solchen Plänen. Dass das kein einzelner Eindruck ist, zeigt eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Anfang des Jahres in Auftrag gegebene Studie: Demnach hat fast jedes dritte große deutsche Industrieunternehmen bereits Forschungs- und Entwicklungsbereiche ins Ausland verlagert oder erwägt dies.
GFL-Geschäftsführer Marcus Sarafin sieht dafür vier zentrale Gründe:
1. Bürokratie erdrückt Wettbewerbsfähigkeit
„Was sich Deutschland in der jetzigen Gesetzgebung leistet, dazu die permanenten Diskussionen über Umwelt-, Lärm- und sonstige Themen, ist international nicht mehr wettbewerbsfähig“, so Sarafin. Die Folge: Investitionen fließen ins Ausland, wo Produktionsprozesse weniger belastet werden.
2. Energiepreise als Standortkiller
Fakt ist: Die Energiekosten in Deutschland sind im internationalen Vergleich zu hoch – und zu kompliziert reguliert. Statt die Industrie zu entlasten, profitieren vor allem Versorger und Stadtwerke von dem regulierten Markt. „Der Staat muss für international wettbewerbsfähige Preise sorgen – ohne Scheuklappen“, so Sarafin.
3. Arbeitskosten und Strukturen sind aus der Balance
„Deutschland muss mehr und günstiger arbeiten“, fordert Sarafin. Die 35-Stunden-Woche sei im internationalen Vergleich zu gering, zudem machen hohe Nebenkosten und eine starke Steuerbelastung deutsche Arbeitskräfte teuer. Sarafin betont: „Das bedeutet nicht, dass unsere Kultur sich verändern darf – aber Arbeitnehmer müssen sich wieder für ihre Arbeit begeistern, sich einbringen, Freude haben und nicht nur Job-Hopping betreiben.“
4. Sozialpolitik blockiert Zukunftsinvestitionen
Besonders kritisch sieht Sarafin die aktuelle Praxis bei Kündigungen und Abfindungen: „Ältere Mitarbeiter werden mit exorbitanten Summen in den Vorruhestand geschickt. Das ist nicht nur ungerecht – zum Beispiel kennen kleine und mittlere Unternehmen keine Abfindungsprogramme – , sondern auch ein massives Problem: Es führt dazu, dass viele arbeitsfähige Menschen aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert werden. Unternehmen investieren so in die Vergangenheit statt in die Zukunft.“
Die Folge: weniger Fachkräfte, steigende Sozialkosten (Anstieg des Arbeitslosengelds), sinkende Steuereinnahmen.
Fazit: Deutschland hat es in der Hand
Bosch, Volkswagen, Thyssenkrupp, Lufthansa – sie alle zeigen eine tiefere Schieflage auf. Der Stellenabbau ist nicht nur der Transformation und Digitalisierung zuzuschreiben, sondern liegt vor allem an Standortfaktoren, die hausgemacht sind.
„Wir sind extrem abhängig von staatlichen Entscheidungen. Aber wenn wir alle wieder lernen und akzeptieren, dass wir mehr für unser Einkommen tun müssen, dann haben wir es in der Hand, aus dieser Negativspirale herauszukommen“, resümiert Sarafin.
Die Botschaft ist klar: Ohne mutige Reformen bei Bürokratie, Energie, Arbeitskosten und Sozialpolitik wird Deutschland weiter Arbeitsplätze verlieren – und seine industrielle Stärke aufs Spiel setzen.