„Wir müssen die Produktion von Halbleitern zurück nach Deutschland und Europa holen“, sagte Ende 2021 Wirtschaftsminister Robert Habeck. Ein Ziel, das sicherlich viele begrüßen – und das in Zeiten von weltweiten Lieferengpässen auch über die Halbleiterbranche hinaus sinnvoll wäre. Dass politischer Wille dafür allein nicht ausreicht, zeigt sich an einem ungewöhnlichen Beispiel: dem Fahrrad.

In den Köpfen vieler ist der Drahtesel ein typisches „Made in Germany“-Produkt – wurde das Fahrrad doch vor rund 200 Jahren in Deutschland erfunden. Auch heute noch sind in der hiesigen Fahrradbranche rund 50.000 Menschen beschäftigt, sowohl in der Fahrrad- und Fahrradteileindustrie als auch im Handel.

Wie abhängig die Zweiräder mittlerweile aber von asiatischen Bauteilen sind, wird aktuell sehr deutlich. Da können Räder nicht geliefert werden, weil der Rahmen noch einem Container in Asien feststeckt, weil Akkus wegen eines Lockdowns in Fernost nicht produziert wurden oder weil unklar ist, wo die Schaltung aus Japan abgeblieben ist. So beschreibt zumindest die Süddeutsche Zeitung in einem aktuellen Artikel die Lage des Fahrradhändlers Thorsten Heckrath-Rose in Nordrhein-Westfalen. Das Besondere: Dieser Händler will sich mit den Lieferproblemen nicht abfinden, plant, für einzelne Komponenten eine Produktion in Europa aufzubauen. Nach seinem Modell würden Fahrradhersteller gemeinsame Produktionswerke in bestimmten Fertigungsbereichen betreiben.

Wo die Schwierigkeiten liegen, die Produktion wieder „nach Hause“ zu holen, weiß Heckrath-Rose aus erster Hand: Er wollte bereits ein Highend-Rennrad in Europa fertigen lassen und scheiterte damit. Nicht, weil die Kosten zu hoch waren, sondern weil das Knowhow fehlte. Das liege in Asien auf einem ganz anderen Level als hierzulande.

„Obwohl Deutschland so eine lange Tradition in diesem Bereich hat, ist es einfach bitter festzustellen, dass man die Kernkompetenzen schon längst verloren hat“, resümiert GFL-Geschäftsführer Marcus Sarafin ernüchtert. „Die Kompetenz von Asien in Europa wieder aufzubauen wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.“

Und es ist ein Problem, das weit über die Zweiradbranche hinausgeht. Von Halbleiterproduzenten über Baumaschinenhersteller bis hin zu Modekonzernen ist der Druck durch die Lieferengpässe hoch, der Wunsch, die Produktion wieder heimzuholen, ist da. Viele Regierungen würden das sogar subventionieren. So fördert Deutschland aktuell 32 Unternehmensprojekte der Mikroelektronik mit einem Investitionsvolumen von mehr als 10 Milliarden Euro – mit dem Ziel, die Halbleiterproduktion wieder in die Bundesrepublik zu holen.

Doch die Süddeutsche Zeitung verweist auf eine McKinsey-Studie laut der für eine schnelle Ansiedlung der Chipindustrie nicht genügend qualifiziertes Personal in Europa vorhanden ist. Zudem dauere es Jahre, ein neues Werk zu errichten.

Es scheint sich zu rächen, dass sich immer mehr Branchen so stark auf Asien fokussiert haben. Für das heimische Fahrrad will der Heckrath-Rose ein Konsortium initiieren mit Unternehmen, Hochschulexperten, Werkzeugbauern etc. Die Forschung müsse allerdings bei null anfangen.

„An diesem Beispiel zeigt sich, warum ‚Geiz ist geil‘ in 2022 zu einem Problem geworden ist: Klimawandel durch erneuerbare Energien bewerkstelligen? Nur mit chinesischen Modulen und Wechselrichtern. FFP2 Masken? Nur mit chinesischer Produktion. Lastenräder für die Familie? Nur mit Teilen aus Asien“, so Sarafin. „Ich glaube schon, dass viele Konsumenten in Europa heimische Produkte bevorzugen – aus Energiefragen, Transport, Wertschöpfung … – zahlen will das aber kaum einer.“